Aktuelles

Dauerjucken ernst nehmen

14. Oktober 2019 - Dr. Uwe Schwichtenberg

Dauerjucken quält Menschen mit Hauterkrankungen wie Neurodermitis oft zum "Aus-der-Haut-fahren". Hartnäckiger Juckreiz kann aber auch Warnsignal für verschiedene innere Erkrankungen sein. Der Hautarzt hilft, die Ursachen aufzuspüren und die richtige Therapie zu finden. Darauf weist der Berufsverband der Deutschen Dermatologen (BVDD) hin. Juckende Haut raubt den Schlaf, mindert Konzentration und Leistungsfähigkeit und kann die gesamte Lebensqualität beeinträchtigen. "Viele Betroffene haben zudem mit Vorurteilen zu kämpfen, weil sie sich ständig kratzen müssen, und ziehen sich aus Scham oft von sozialen Kontakten zurück", berichtet Professor Dr. Elke Weisshaar, Hautärztin an der Pruritus-Ambulanz an der Universitäts-Hautklinik Heidelberg. Vor allem wenn das Jucken über Wochen und Monate andauert, drohen Ein- und Durchschlafstörungen, Stigmatisierung und Einschränkungen im Sozial- und Arbeitsleben. Chronischer Pruritus – so der medizinische Fachbegriff für Hautjucken von mindestens sechs Wochen Dauer – zählt weltweit zu den 50 zentralen und stark belastenden Erkrankungen.

Pruritus – besonders belastendes Symptom vieler Hauterkrankungen

Chronischer Pruritus tritt vor allem im Rahmen verschiedener Hauterkrankungen wie Neurodermitis, Urtikaria (Nesselsucht) und Kontaktallergien auf und ist hier das vorherrschende und oft am meisten belastende Krankheitszeichen.
Der Forschung gelingt es zunehmend, die Mechanismen zu entschlüsseln, die dem Hautjucken zugrunde liegen. Die umgangssprachliche Bezeichnung "Juckreiz" sei nicht ganz richtig, es handle sich vielmehr um eine Juckempfindung, die durch einen Juck-Reiz ausgelöst wird, erklärt Prof. Weisshaar. Heute weiß man, dass bei entzündlichen Hauterkrankungen wie der Neurodermitis Botenstoffe, die von Haut- und Immunzellen abgegeben werden, die Endigungen bestimmter Nervenfasern in der Haut stimulieren.
Ein juckreizauslösender Botenstoff ist beispielsweise Histamin, das bei der Urtikaria oder bei Allergien aus Mastzellen freigesetzt wird. Zudem können Signalstoffe, die in entzündeter Haut vermehrt vorkommen, die Nervenfasern sensibilisieren, die dann schon auf geringe Reize reagieren. Die aktivierten Nervenfasern leiten das Signal an das Gehirn weiter und lösen dort die Sinnesempfindung Jucken sowie einen unmittelbaren Kratzreflex aus. Kratzen lindert zwar kurzfristig das Jucken, schädigt jedoch die Hautbarriere, verstärkt die Entzündung und kann Nervenendigungen in der Haut verletzen. In der Folge juckt die Haut noch mehr – ein Teufelskreis kann entstehen.

Mögliches Warnsignal innerer Erkrankungen

"Chronischer Pruritus tritt aber nicht nur im Rahmen von Hauterkrankungen auf", betont Prof. Weisshaar. Ansonsten gesunde Haut kann beispielsweise bei inneren Erkrankungen wie Diabetes, Nieren- oder Lebererkrankungen und Schilddrüsenfunktionsstörungen sowie bei chronischen Schädigungen von Nervenfasern und in seltenen Fällen bei Tumoren nachhaltig jucken. Eine mögliche Ursache können auch Eisenmangel oder bestimmte Medikamente sein. Sogar Probleme an der Wirbelsäule können zu chronischem Pruritus insbesondere an Rücken oder Armen führen. Welche Mechanismen bei solchen Erkrankungen dem chronischen Pruritus zugrunde liegen, ist noch nicht vollständig geklärt. "Auch wenn die Haut – außer Kratzspuren – keine weiteren Krankheitszeichen zeigt, sollte das Jucken unbedingt als Warnsignal ernst genommen werden", betont Prof. Weisshaar.
Die Abklärung der Ursachen sei der erste Schritt zur richtigen Therapie. Betroffene sollten nicht resignieren, sondern sich vertrauensvoll an ihren Hautarzt wenden, der – falls erforderlich – andere Fachärzte hinzuziehen oder auch an ein spezialisiertes Zentrum verweisen wird. Wenn die zugrunde liegende Erkrankung behandelt wird, bessert sich häufig auch das Jucken. Manchmal hat sich der Juckreiz aber auch verselbständigt und bleibt trotz erfolgreicher Therapie der Grunderkrankung bestehen oder es gelingt nicht, die Ursache dingfest zu machen. "Um den Leidensdruck zu lindern, ist daher in der Regel eine direkte Behandlung des Pruritus nötig", erklärt Prof. Weisshaar.

Individuelles Behandlungskonzept nötig

Meist wird der Hautarzt ein individuelles Behandlungskonzept in die Wege leiten. Denn bei chronischem Pruritus, insbesondere bei älteren Menschen, spielen oft mehrere Faktoren eine Rolle. Trockene Haut sollte vermieden und die Hautbarriere durch eine feuchtigkeitsspendende und rückfettende Pflege gestärkt werden. Günstig sind juckreizstillende Inhaltsstoffe wie Harnstoff, Menthol, Lidocain oder Polidocanol. Wer feststellt, dass bestimmte Trigger die Haut reizen und das Jucken verschlimmern, sollte darauf verzichten. Das können kratzige Kleidungstücke, beispielsweise aus Wolle, heiße Getränke oder scharf gewürzte Speisen oder auch Besuche in der Sauna sein. Bei Allergien sollten die Auslöser möglichst vermieden werden.
Ein weiterer Baustein im Pruritus-Management sind Medikamente zur äußerlichen Anwendung. Bei entzündlichen Hautveränderungen können kurzzeitig eingesetzte Kortikosteroide oder auch Calcineurininhibitoren den Juckreiz lindern. Auch Capsaicin-haltige Zubereitungen können versucht werden.
Bei schweren Formen des chronischen Pruritus können eine UV-Therapie oder Medikamente zur innerlichen Anwendung erwogen werden. Erste Wahl unter den Medikamenten sind nicht-sedierende, das heißt nicht müde machende, Antihistaminika, die allerdings nur bei einzelnen Formen des Pruritus, wie zum Beispiel Urtikaria, helfen. Je nach Ursache des Pruritus werden daher verschiedene andere Medikamente eingesetzt, wie Antidepressiva, Opioidantagonisten oder Antikonvulsiva, die auf die Erregungsweiterleitung im Nervensystem einwirken. Diese sind allerdings nicht speziell für chronischen Pruritus zugelassen. "Die Forschung arbeitet intensiv an Möglichkeiten einer gezielten Therapie des chronischen Pruritus", berichtet Prof. Weisshaar.

Quelle: Pressemeldung Berufsverband der Deutschen Dermatologen (BVDD)

Weitere News-Beiträge

2019
12. Dezember 2019
Besonderheiten der Haut im Säuglingsalter → mehr
22. November 2019
Kinder und Jugendliche zwischen 2 und 17 Jahren mit Alopecia areata für Studie gesucht → mehr
22. September 2019
Kontaktallergie auf Duftstoffe → mehr
22. August 2019
Unliebsame Urlaubssouvenirs an der Haut → mehr
10. August 2019
Kinder und Jugendliche zwischen 2 und 17 Jahren mit Alopecia areata für Studie gesucht → mehr
22. Juli 2019
Hautkrebs-Prävention am Bremen Airport → mehr
22. Juni 2019
Vielfalt statt Meiden senkt das Allergierisiko → mehr
22. Mai 2019
Menschen mit Neurodermitis und Schuppenflechte präziser behandeln → mehr
22. April 2019
Heller Hautkrebs - Aktinische Keratosen immer behandeln! → mehr
22. März 2019
Die Krätze ist auf dem Vormarsch → mehr
22. Februar 2019
Kinder und Jugendliche zwischen 2 und 17 Jahren mit Alopecia areata für Studie gesucht → mehr
21. Januar 2019
Neuentstehung von Ekzemen und Neurodermitis im Alter von 55+ → mehr
Archiv
2024 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2024 anzeigen
2023 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2023 anzeigen
2022 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2022 anzeigen
2021 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2021 anzeigen
2020 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2020 anzeigen
2018 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2018 anzeigen
2017 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2017 anzeigen
2016 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2016 anzeigen
2015 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2015 anzeigen
2014 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2014 anzeigen
2013 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2013 anzeigen
2012 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2012 anzeigen
2011 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2011 anzeigen
2010 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2010 anzeigen
2009 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2009 anzeigen
2008 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2008 anzeigen
2007 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2007 anzeigen
2006 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2006 anzeigen
2005 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2005 anzeigen
2004 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2004 anzeigen